Revolutionskriege: Eroberung oder Befreiung?

Revolutionskriege: Eroberung oder Befreiung?
Revolutionskriege: Eroberung oder Befreiung?
 
Die Revolution von 1789 veränderte nicht allein Frankreich von Grund auf. Revolutionäre Ideen und Armeen überfluteten in der Folgezeit auch das übrige Europa. Kaum ein Staat westlich von Russland und nördlich der Pyrenäen blieb von dieser Beeinflussung unberührt oder konnte sich ihr entziehen. Die Revolution rüttelte gewaltig an dem altersschwachen Gerüst politischer, sozialer und religiöser Konventionen in Alteuropa und bekundete per Dekret beinahe täglich ihren festen Erneuerungswillen. Zuerst fielen die gesellschaftlichen Grenzen, ihnen folgten 1790/91 die religiösen und mit dem Kriegseintritt 1792 die politischen. Es spricht viel dafür, die Zäsur des Jahres 1792 besonders zu betonen. Hinsichtlich der revolutionären Entwicklung und Dynamik, vor allem jedoch wirkungsgeschichtlich, ist die Wende dieses Jahres vielleicht bedeutsamer als die von 1789, und zwar aus zwei Gründen: Mit der Bereitschaft zum Krieg gegen das monarchische Europa verlässt die Revolution den eigenen nationalen Rahmen, und gleichzeitig vermengen sich in Frankreich außenpolitische Aspekte mit innenpolitischen zu einem schier unentwirrbaren Komplex. Der Krieg wird fortan alle Exzesse im Innern rechtfertigen und die politischen Parteikämpfe zum Äußersten führen. Aber auch das Europa des Ancien Régime wird sich infolge der Revolutions- und Empirekriege tief greifend wandeln. Unter den Prämissen von Modernisierung und politisch-sozialem Wandel nahm Europa in der Zeitspanne von Valmy (1792) bis Waterloo (1815) Konturen an, die teilweise noch heute existieren.
 
 Revolution und Krieg
 
Kehren wir zu den Ursprüngen dieser epochalen Wende zurück, zu dem, was man die revolutionäre Mission oder die Universalisierung ihrer Prinzipien nennen kann. War das Hauptaugenmerk der Revolution in den ersten drei Jahren auf die Umwälzungen im Innern gelenkt, so änderte sich mit der Kriegserklärung an Österreich im April 1792 die Ausgangslage grundlegend. Die tollkühne Aktion, die erstmals innenpolitische mit außenpolitischen Gegensätzen verschränkte, stieß am Wiener und Berliner Hof auf eine bereitwillige Resonanz. Kurz zuvor, im Februar 1792, hatte der Nachfolger Kaiser Leopolds II., Franz II., mit Preußen, das im Juli 1792 ebenfalls in den Krieg gegen Frankreich eintrat, ein militärisches Bündnis geschlossen. Die Konfliktfelder hatten sich inzwischen auf beiden Seiten angehäuft: Frankreich hatte im September 1791 Avignon annektiert, das seit 1348 in päpstlichem Besitz war, und blieb in der Frage der Entschädigungsleistungen für die im Elsass ihrer Rechte und Besitztümer verlustig gegangenen deutschen Fürsten hartnäckig auf Gegenkurs. Die Alliierten, die ohnehin den Krieg wünschten, dokumentierten mittels Diplomatie und öffentlicher Drohungen, zum Beispiel artikuliert im Manifest des Herzogs Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig am 25. Juli 1792, zunehmend ihre Entschlossenheit, der revolutionären Bewegung ein Ende zu setzen.
 
Als der Krieg ausbrach, war Frankreich denkbar schlecht darauf vorbereitet und erlitt eine Niederlage nach der anderen. Die Kanonade von Valmy am 20. September 1792 und der Sieg von Charles François Dumouriez bei Jemappes am 6. November über die Österreicher bewirkten indes eine folgenschwere Veränderung der Situation. Die Alliierten zogen sich zurück, und die Revolutionsarmeen folgten ihnen bis an den Rhein und die Alpen und besetzten Belgien. Dies wirkte auf die französischen Truppen wie eine Art Vorwärtsverteidigung, und von den militärischen Erfolgen angespornt, entwickelte sich bei der Mehrheit der Konventsabgeordneten ein Verantwortungsbewusstsein gegenüber unterdrückten Völkern. In einem Exzess an Rhetorik und einem Defizit an Beratung und Bedächtigkeit erließ der Nationalkonvent am 19. November 1792 »im Namen der französischen Nation« ein Propagandadekret, worin er allen freiheitsliebenden Völkern Europas seine Brüderschaft und Unterstützung gegen Tyrannei und monarchischen Despotismus anbot. »Krieg den Palästen, Friede den Hütten« lautete die zündende Formel des girondistischen Abgeordneten Joseph Cambon vom 15. Dezember 1792. Zuvor hatte der radikale Deputierte Pierre Gaspard Chaumette in der Versammlung ausgerufen: »Das Gebiet, das zwischen Paris und Moskau liegt, wird bald französisiert, kommunisiert und jakobinisiert sein.« Das rhetorische Delirium komplettierte Jacques Pierre Brissot, der Anführer der girondistischen Kriegspartei, kurze Zeit später. Er schrieb: »Wir können in Europa nicht ruhig sein, bis der ganze Kontinent in Flammen steht.«
 
Von nun an erhielten die Ziele der Revolution eine neue Dimension. Die kriegerische Auseinandersetzung mit Europa hatte für die Franzosen existenzielle Konsequenzen: Ein vorhersehbares Ende der Revolution war nicht mehr in Sicht, und der Krieg würde die Revolution fortsetzen oder sie beenden. Sollte der Krieg ursprünglich von den eigenen Problemen ablenken, so exportierte er nun die innere Dialektik der Revolution in die Nachbarstaaten. Während die französischen Siege bestenfalls zu Waffenruhen führten, war das Trachten nach Frieden beinahe ebenso suspekt wie die Niederlage, denn beide bedeuteten Verrat am revolutionären Patriotismus. Der französische Nationalimus, den die Revolutionsarmeen nach Europa trugen, war infolgedessen kein Nationalismus einer Nation, die befreit, sondern einer, die erobert. Unter dem Mantel des freiheitlichen Kreuzzugsbanners verbarg sich eine Synthese aus ideologischem Messianismus und nationaler Leidenschaft. Der Krieg der Revolution gegen Europa, der ein knappes Vierteljahrhundert andauern sollte, hatte indes in Frankreich die gleiche einheitstiftende Funktion wie in Deutschland die späteren Befreiungskriege.
 
 Wirkungen der Revolution auf Deutschland
 
In der deutschen politischen Öffentlichkeit wurde der Ausbruch der Französischen Revolution zunächst begeistert aufgenommen. Mit einem Schlage, wenn auch nur für kurze Zeit, setzten sich die führenden Vertreter der deutschen Intelligenz über Fürstenzwänge, Zensur und kleinstaatlichen Egoismus hinweg und feierten euphorisch die neu gewonnene »fränkische Freyheit«. Als die Morgendämmerung eines neuen Zeitalters begrüßten die Koryphäen des literarischen Deutschland die Erstürmung der Bastille, rühmten sie geradezu als »des Jahrhunderts edelste That« (Friedrich Gottlieb Klopstock). Andere, etwa Immanuel Kant und Friedrich Schiller, nahmen eher eine abwartende Stellung ein, während Johann Wolfgang von Goethe und Justus Möser dem revolutionären Geschehen von Anbeginn an misstrauten oder gar feindlich gegenüberstanden. Die Wirkung des Bastillesturms blieb jedoch nicht auf die deutsche Gelehrtenwelt beschränkt, vielmehr wurden auch weite Teile der Bevölkerung von dem spektakulären Geschehen in Erstaunen versetzt. In Speyer, Mainz, Köln und Aachen wurden Freiheitsbäume errichtet und entlang des Rheins sowie in der Pfalz zirkulierten zuhauf Flugschriften und Broschüren, die über die Neuerungen in Frankreich berichteten oder in denen die ländliche Bevölkerung zur Nachahmung aufgerufen wurde.
 
Doch der Begeisterung folgte bald die Enttäuschung. Die allgemeine Sympathie nahm nach den Septembermorden und der Hinrichtung des Königs, spätestens nach dem Beginn der »Pöbelherrschaft« der Jakobiner spürbar ab und wich alsbald einem tiefen Abscheu vor den »Gräueln der Freiheitsseuche« im Nachbarland. Solange die Revolution abstrakte Vorstellungen formulierte und sich auf laut tönende Reden von Freiheit, Gleichheit und Menschenrechten beschränkte, bekannte sich die überwiegende Mehrheit der deutschen Intelligenz zu deren Zielen. In dem Moment, in dem sie »ausartete«, beklagten fast alle ihren Irrtum oder sahen sich in ihrem nationalen Bewusstsein tief bedroht.
 
Übrig blieb eine Minderheit deutscher Sympathisanten der Revolution, die aufgrund ihrer ideellen und praktischen Berührungspunkte zum Pariser oder Straßburger Jakobinerklub abschätzig »Jakobiner« genannt wurden. Sie gründeten analog zum französischen Original patriotische Zirkel oder Klubs und traten sowohl mit radikaldemokratischen Schriften als auch mit politischen Zeitschriften an die Öffentlichkeit. Zentren ihrer Verbreitung waren die linke Rheinseite, Süddeutschland, Hamburg, Berlin und Wien. Nur zwei Gruppen erlangten mit französischer Unterstützung überregionale Bedeutung: die Mainzer Jakobiner von 1792/93 und die Cisrhenanen von 1797/98. Nach der kampflosen Besetzung der Stadt Mainz durch französische Truppen unter Adam Philippe Graf von Custine im Oktober 1792 wurde dort von Professoren, Studenten und Beamten ein Jakobinerklub gegründet, der zeitweise über 400 Mitglieder zählte. Am 17. März 1793 trat ein Nationalkonvent zusammen und rief die »Rheinisch-Deutsche Republik« aus. Gleichzeitig wurde der Anschluss an Frankreich beschlossen und eine sechsköpfige Delegation beauftragt, unter ihnen der Schriftsteller Georg Forster, die Modalitäten in Paris auszuhandeln. Die erste Republik auf deutschem Boden dauerte lediglich vier Monate. Am 23. Juli 1793 kapitulierte Mainz vor der preußisch-österreichischen Armee. Nicht anders erging es den Cisrhenanen am Mittel- und Niederrhein, die, angeführt von Joseph Görres, Franz Theodor Biergans und Mathias Metternich, seit Frühjahr 1797 ihre Hoffnungen auf eine rheinische Schwesterrepublik gesetzt hatten. Ihre 1798 an Frankreich gerichtete Reunionsadresse fiel der neuen Annexionspolitik des Pariser Direktoriums zum Opfer.
 
 Der 1. Koalitionskrieg (1792—97) und das italienische und ägyptische Abenteuer Napoleons
 
Der 1. Koalitionskrieg bis zum Basler Separatfrieden 1795
 
Waren es einerseits Hoffnungen und Enttäuschungen, die politisierte Schriftsteller und Publizisten innerhalb der vielgestaltigen Staatenwelt des »Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation« auf Jahre in Brot und Atem hielten, so hing andererseits das Schicksal der einzelnen Staaten und Territorien eng mit dem Französischen Revolutionskrieg zusammen. Neben Preußen und Österreich traten 1793 immer mehr Staaten der ersten Koalition der alliierten europäischen Mächte bei: Großbritannien und die Vereinigten Niederlande am 1. März, Spanien folgte sechs Tage später, Russland am 25. März. In der militanten Wendung Frankreichs gegen die europäische Koalition schwangen nationales Überlegenheitsgefühl und teilweise Fremdenhass mit. Die Okkupation fremder Gebiete verlief stets nach dem gleichen Muster: Nach der Besetzung durch die eigenen Truppen wurden eine Militärverwaltung eingerichtet und lokale Jakobinerklubs für die Propagandatätigkeit unter Zuhilfenahme französischer Offiziere, der Zivilkommissare und zuverlässiger Einheimischer ins Leben gerufen. Im Westen und Süden des Reiches machten Belgier und Deutsche direkt Bekanntschaft mit der Revolution durch die vorrückenden französischen Soldaten. Zwar kam es partiell durchaus zu positiven Begegnungen, aber insgesamt überwog die negative Erfahrung infolge der häufigen Brandschatzungen, gewalttätigen Plünderungen und auferlegten empfindlichen Kriegskontributionen.
 
Im November 1792 waren die Franzosen bei ihrem Einmarsch in Brüssel als Befreier gefeiert worden. Anschließend besetzten sie Antwerpen, Lüttich und Aachen. Im Februar 1793 drang Dumouriez gar in die Niederlande ein und annektierte am 1. März die österreichischen Besitzungen im heutigen Belgien. Jedoch erwiesen sich neue Truppenaushebungen als schwierig und stießen in vielen Teilen des Landes, besonders in der Bretagne, im Midi und in der Vendée, auf Widerstand. Der Widerstand der belgischen Bevölkerung, Niederlagen und prominente Überläufer (Dumouriez, La Fayette) machten den Erfolg zunichte. Eine von Robespierre und Saint-Just kontrollierte straffere Armeeführung schaffte den Umschwung. Zuerst wurden britische Invasionsversuche in Toulon (1793) abgewiesen, dann leitete der Sieg Jean Baptiste Jourdans über die Österreicher unter dem Prinzen Josias von Sachsen-Coburg am 26. Juni 1794 bei Fleurus die Rückeroberung ein. In schneller Folge rückten die französischen Armeen bis Köln vor und besetzten im Januar 1795 wiederum die Niederlande. Dem militärischen Vormarsch folgte umgehend die politische Umstrukturierung. Während die Niederlande am 3. Februar zur Batavischen Republik erklärt wurden, schieden zwei Hauptgegner Frankreichs im Basler Separatfrieden 1795 aus der Koalition aus: Preußen im April und Spanien im Juli 1795.
 
Nach diesem diplomatischen Glanzstück ging die Politik des Direktoriums jetzt immer offener auf Eroberungen aus. Die Vorstellung von den natürlichen Grenzen Frankreichs an Pyrenäen, Alpen und Rhein nistete sich in den Köpfen der politisch Verantwortlichen ein. Galt noch 1792/93 das revolutionäre Interesse in den besetzten Gebieten dem Aufbau einer franzosenfreundlichen Partei, die auf den Anschluss hinarbeiten sollte, so wurde diese Annexionspolitik ab 1795 durch das Konzept der Schwesterrepubliken, womit von Frankreich abhängige Satellitenstaaten gemeint waren, ersetzt. Genau an diesem Punkt setzte die neue Allzweckwaffe der Pariser Direktoren, der Divisionsgeneral Napoléon Bonaparte, an, dessen historischer Stern 1796 über Italien aufging.
 
Der 1. Koalitionskrieg bis zum Ausscheiden Österreichs 1797 und der Beginn des italienischen Abenteuers
 
Nach dem Frieden von Basel waren nur noch zwei Feinde der Französischen Republik übrig geblieben: Österreich und Großbritannien. Lazare Carnot, der umsichtige Kriegsorganisator und führende Mann im Direktorium, plante den dreifachen Angriff. General Lazare Hoche erhielt den Auftrag, von Brest aus eine Landung in Großbritannien zu bewerkstelligen. Auf dem Festland sollten zwei Armeen unter den Generälen Jourdan und Jean Victor Moreau durch Süddeutschland auf Wien vorstoßen. Zugleich sollte Napoleon, der Anfang März den Elsässer Barthélemy Schérer als Oberbefehlshaber ersetzt hatte, den Österreichern in Oberitalien Piemont und die Lombardei entreißen. Während die beiden ersten Unternehmungen kläglich scheiterten, die erste am schlechten Wetter vor Irlands Küste und die zweite an Erzherzog Karl, feierte Bonaparte mit der dritten Operationsvariante den vollkommenen Triumph.
 
Die schlecht ausgerüsteten Truppen der Italienarmee staunten nicht schlecht, als sie ihren jungen, 26-jährigen Armeechef am 27. März 1796 in Nizza zum ersten Mal zu Gesicht bekamen. In seinem ersten Aufruf an die Armee versprach er den Italienern Freiheit und seinen ausgehungerten Soldaten die reichen Schätze Italiens. Innerhalb eines Monats überquerte er die Ligurischen Alpen, besiegte nacheinander die Österreicher und die Piemonteser bei Montenotte (Provinz Savona), Millesimo und Mondovi und zwang den König von Sardinien zum Waffenstillstand. Dann nahm er die Verfolgung der überraschten Österreicher auf, erzwang am 10. Mai den Übergang über die Adda bei Lodi und zog in Mailand ein. Zwar erneuerte Bonaparte in der Hauptstadt der Lombardei sein Freiheitsversprechen an die Italiener, aber in Wirklichkeit hob er die Lombardische Republik aus der Taufe. Im Stile des Eroberers folgte Napoleon seinem Schlachtenstern. Die österreichische Hauptarmee schloss er in der Festung Mantua ein, und Entsatzversuche wehrte er durch die Siege von Arcole (15.—17. November 1796) und Rivoli (14. Januar 1797) ab. Anfang Februar 1797 kapitulierte der österreichische General Dagobert Siegmund von Wurmser in Mantua. Der Hauptfeind war besiegt und zog sich vor den nachrückenden Franzosen nach Kärnten zurück.
 
Schon längst fungierte der siegreiche General Bonaparte nicht mehr als Erfüllungsgehilfe des Direktoriums, dessen Befehle er ignorierte und dem er stattdessen die in Italien erbeuteten Kunstwerke zuschickte. Der Kunstraub war systematisch organisiert und betraf die Museen und Bibliotheken von Mailand, Florenz und Bologna ebenso wie später die von Turin, Neapel sowie die des Vatikans. Antike Kunstgegenstände und die Hauptwerke der italienischen Renaissance fanden auf Hunderten von Wagenladungen den Weg in den Pariser Louvre. Es war jedermann offensichtlich: Napoleon handelte auf eigene Faust. Der »Retter Frankreichs« durchquerte Tirol, rückte auf Klagenfurt vor und legte gleichzeitig den Grundstein für die politische Neuordnung Italiens. Militärisch in höchster Bedrängnis, suchte Österreich im Vorfrieden von Leoben (18. April 1797) um Waffenstillstand nach und musste sich am 17. Oktober 1797 dem napoleonischen Friedensdiktat von Campoformio beugen. Allerdings hatte Napoleon in der Zwischenzeit Venedig eingenommen sowie die Cisalpinische (Mailand) und die Ligurische Republik (Genua) proklamiert. Kaiser Franz II. verzichtete im Friedensvertrag auf die österreichischen Niederlande, Mailand, Modena und Mantua und erkannte die napoleonischen Republikgründungen in Italien an. Er erhielt dafür Venetien, dessen Besitzungen in Istrien und an der dalmatinischen Küste sowie das Erzbistum Salzburg. Die Republik der Lagunenstadt, »la Serenissima«, hatte nach tausendjähriger Unabhängigkeit aufgehört zu existieren. Die wichtigsten Punkte regelte ein Geheimprotokoll, in dem Österreich der Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich im Falle eines Friedens mit dem Reich (Gesandtenkongress von Rastatt 1797—99) zustimmte.
 
Der Landhunger Napoleons und seiner ihm ergebenen Regierung war damit noch keineswegs gestillt. Im Auftrag des korsischen »Korporals« zettelten seine Generäle in der Schweiz, in Rom und Neapel Revolutionen an, und auf diese Weise wurden am 9. Februar 1798 die Helvetische Republik, am 15. Februar 1798 die Römische und am 26. Januar 1799 die Parthenopäische Republik in Neapel den französischen Satellitenstaaten hinzugefügt. Napoleons Italienpolitik hatte sich durchgesetzt, aber die Sehnsucht der Italiener nach Freiheit und nationaler Einheit war bitter enttäuscht worden. Entsprechend nahmen die antifranzösischen Unruhen zu, und sie hörten auch nicht auf, nachdem französische Truppen Rom besetzt, Papst Pius VI. gefangen genommen und nach Valence gebracht hatten, wo er noch im gleichen Jahr starb.
 
Napoleons Ägyptenexpedition 1798/99
 
Nachdem Österreich militärisch besiegt und vertraglich eingebunden war, konzentrierte sich das Hauptinteresse des Direktoriums auf den britischen Erzfeind. Da nach den negativen Erfahrungen von 1796 (missglückte Landung von General Louis Lazare Hoche in Irland) eine erneute Invasion nicht ratsam erschien, schlug der französische Außenminister Charles Maurice de Talleyrand den Pariser Direktoren vor, den Sieger von Italien mit einer neuen heiklen Aufgabe zu betrauen. Napoleon sollte England in dessen weltweiter Einflusssphäre an seiner empfindlichen kolonialen Flanke treffen, und zwar in Ägypten. Napoléon Bonaparte, der seine Aufgabe in Europa als erledigt ansah und den Kontinent hochmütig mit einem »Maulwurfshügel« verglich, versprach sich von einem Erfolg die entscheidenden Rückwirkungen auf die Siegeszuversicht und die Ausdauer des Gegners. Am 19. Mai 1798 verließ die französische Flotte mit 35000 Soldaten an Bord den Hafen von Toulon und erreichte, unbemerkt von der britischen Flotte unter Horatio Nelson, Ende Juni die Bucht von Alexandria. Das moderne Ägypten mit seinem oberflächlichen Glanz französischer Zivilisation datiert von der Schlacht bei den Pyramiden am 21. Juli, in der Napoleon die Macht der Mamelucken zerstörte. Das archäologische Interesse an diesem Land überhaupt wurde auf dieser Expedition geweckt. Doch während Napoleon als Sieger in Kairo einzog und zugleich dem Koran huldigte, vernichtete Nelson die französische Flotte auf der Reede von Abukir am 1. August 1798. Mussten nach diesem empfindlichen Verlust und dem Kriegseintritt der Türkei Napoleons Träume einer Indienexpedition hinter das begrenztere Ziel eines syrischen Feldzuges zurücktreten, so vermehrte er seinen Ruhm in der Heimat durch die vielen detaillierten Bulletins, die er nach Paris sandte und die dort eine Kreuzfahrerromantik auslösten. Bevor er nach Frankreich zurückkehrte und seine Truppen bei ihrer weiteren Verteidigung sich selbst überließ, war er bereits Held einer Nation und ihr ungekrönter Herrscher. Die Nachricht von dem Sieg über die Türken bei Abukir am 25. Juli 1799, die dort mit britischer Hilfe gelandet waren, verdeckte die grimmige Tatsache, dass ein stolzes Heer für einen nutzlosen Feldzug geopfert worden war.
 
 Großbritannien und die Französische Revolution
 
In den britisch-französischen Beziehungen gehörten die ersten drei Jahre der Revolution zu den ruhigsten seit langer Zeit. Es bestanden zwar hüben wie drüben nach wie vor alte Antipathien, aber sie führten nicht notwendigerweise zum Konflikt. So sahen etwa viele Briten den Ausbruch der Revolution mit großer Schadenfreude. Für den Premierminister William Pitt den Jüngeren war Frankreich nun erst recht ein »Objekt des Mitleids«. Daher betrieb seine Regierung eine strikte Neutralitätspolitik gegenüber Frankreich und erteilte allen kontinentalen Drohungen und Aufmarschplänen eine Abfuhr. Großbritannien war die eigene Wohlfahrt und der eigene Frieden wichtiger, als mit Waffengewalt gegen das revolutionäre Frankreich vorzugehen. Mit dieser rein taktischen Revolutionsabwehr unterschied sich der Premier von jenem Briten, der zum Inbegriff der britischen oder, wenn man so will, der europäischen Gegenrevolution wurde: Edmund Burke. Seine berühmten »Betrachtungen über die Französische Revolution« erschienen in London im November 1790 und erteilten den Ideen von 1789 eine klare Absage. Dieses glänzende politische Pamphlet machte umso mehr Eindruck, als es aus der Feder eines Iren und eines Whig stammte. Burke sah in der Revolution eine Gefahr für die herkömmliche Staats- und Gesellschaftsordnung überall in Europa. Während viele andere Whigs die Entwicklung in Frankreich begrüßten, wollte er die Ausweitung der French principles, der französischen Prinzipien, auf der Insel verhindern. Statt auf Revolution setzte er auf die historischen Traditionen Großbritanniens: Bewahren und Verbessern, Erhalten und Verändern. Seine Schrift wurde die Bibel des politischen Konservatismus.
 
Burke zum Trotz war die öffentliche Meinung in Großbritannien 1792 beim Kriegsausbruch nicht vorwiegend gegenrevolutionär. Im Gegenteil, als sich hier im Zuge der Französischen Revolution ebenfalls ein nationales Bewusstsein entfaltete, wurden davon besonders liberale und radikale Kreise beeinflusst. Verbreitet war der Begriff »Patriotismus«, womit man die nationale Wohlfahrt meinte. Unter Patrioten verstand man die Friends of Liberty (Freunde der Freiheit), eine Gruppe politischer Dissidenten und Reformer, die sich in der berühmten London Corresponding Society eine organisatorische Plattform gegeben hatten. Bei diesen Radikalen wiederum stießen proklamierte Ideale wie Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit auf fruchtbaren Boden. Analog zu ihren geistigen Brüdern jenseits des Kanals verbanden sie, zumindest in der Frühphase der Revolution, mit Patriotismus »Kosmopolitismus«. Ähnlich durchdrungen von optimistischem Internationalismus war die Gegenschrift zu Burke: die »Die Rechte des Menschen« (1791) von Thomas Paine. Aus seiner Sicht hoben Staaten, die nach republikanischen Prinzipien organisiert waren, den Krieg auf, weil dieser lediglich für die herrschende Schicht Vorteile einbringe. Er ging davon aus, dass zunächst das britische Regierungssystem reformiert werden müsse, bevor es zu brüderlichen Beziehungen zum revolutionären Frankreich kommen könne. Paines Ideen fanden in Großbritannien einen großen Widerhall. Auf der Ebene der patriotischen Gesellschaften wurden Grußadressen mit französischen Klubs ausgetauscht und gegenseitige Besuche veranstaltet. Am 27. September 1792 erklärte der Präsident der London Corresponding Society, Maurice Margarot, in einer Grußadresse seiner Gesellschaft an den französischen Nationalkonvent: »Franzosen, ihr seid immer frei, wir Briten beeilen uns, es zu werden.«
 
Diese Stimmung änderte sich schlagartig im Jahre 1793. Die Kreuzzugspropaganda der Girondisten, die einseitig vorgenommene Öffnung der Scheldemündung für die internationale Handelsschifffahrt und der französische Einmarsch in Belgien bewirkten in Großbritannien eine Änderung der bisherigen Neutralitätspolitik. Aus britischer Sicht marschierte der Konvent in den Fußstapfen Ludwigs XIV., die politische und ökonomische Unabhängigkeit der Vereinigten Niederlande waren bedroht. Die französische Kriegserklärung vom 1. Februar 1793 brachte das Land auf gegenrevolutionären Kurs. Bei der Bekämpfung des republikanischen Frankreich und des frankophilen Stils im britischen Radikalismus waren der König und die Regierung zusammen mit der gesellschaftlichen Oberschicht in der Lage, sich als Hüter nationaler Werte und Institutionen zu profilieren. Gleichzeitig konnten sie den Angriff parieren, sie seien eine Elite, die sich der Korruption verschrieben und das nationale politische Erbe unterminiert hätte. Die Not des Krieges erzeugte unter der politischen Oberfläche eine nationale Empfindlichkeit, in deren Konsequenz die Radikalen ihre kosmopolitischen Ideale und ihre reformerischen Projekte ruhen lassen mussten.
 
Die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Großbritannien und Frankreich verliefen bis zum Frieden von Amiens (1802) unterschiedlich: Während britische Landungsversuche in Frankreich allesamt scheiterten (Toulon 1793, Hondschoote 1793, Quiberon 1795, Ostende und Bergen op Zoom 1799), behauptete Großbritannien 1798 mit der Vernichtung der französischen Flotte in der Bucht von Abukir seine europäische Vormachtstellung zur See.
 
Prof. Dr. Erich Pelzer, Freiburg
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
napoleonische Ordnung: Europa im Schatten der »Grande Armée«
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Französische Revolution von 1789: Vom dritten Stand zur Nation
 
 
Tulard, Jean: Frankreich im Zeitalter der Revolutionen 1789-1851. Aus dem Französischen. Stuttgart 1989.

Universal-Lexikon. 2012.

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